Jacopo Sannazaro, Salices

Aus Mittel- und Neulatein macht Schule!

Autor

Jacopo Sannazaro (1458-1530) gehört zur ersten Generation neapolitanischer Humanisten, die vollständig unter der Herrschaft der Könige des Hauses Aragon (seit 1443) aufwuchsen und von deren immenser kultureller Patronage profitierten. Im Gegensatz zu seinen Vorläufern, dem aus Palermo stammenden Antonio Beccadelli (1394-1471) und dem Umbrer Giovanni Pontano (1429-1503), die das Ideal des gelehrten und schreibenden Politikers der frühen Renaissance verkörperten (insbesondere Pontano war neben der Führung der Staatsgeschäfte eines der bedeutendsten Staaten Italiens zugleich als Dichter produktiver als fast alle seiner Zeitgenossen), widmete Sannazaro sein Leben ganz überwiegend der Literatur. Dafür konnte er bis zur Vertreibung der aragonesischen Könige aus Neapel 1501 auf deren Förderung zählen – Ferdinand II., den Sannazaro ins Exil begleitete, aus dem er allerdings 1505 schon wieder nach Neapel zurückkehrte, hatte dem Dichter noch 1499 ein stattliches Anwesen geschenkt. Die Patronage des Königshauses wurde maßgeblich vermittelt durch Giovanni Pontano, den Entdecker und Förderer Sannazaros. Pontano verdankte er auch sein humanistisches Pseudonym Actius Sincerus, unter dem er in einem Dialog seines Förderers auftritt. Die nach Pontano benannte Akademie, die tatsächlich aber schon seit 1458 unter Beccadellis Vorsitz im Castel Nuovo in Neapel tagte, leitete Sannazaro nach Pontanos Tod 1503 bzw. seiner eigenen Rückkehr nach Neapel 1505. Seiner tiefen Verehrung für Vergil trug Sannazaro noch im Tod dadurch Rechnung, dass er sich in der von ihm gestifteten und ein Jahr vor seinem Tod fertiggestellten Kirche Santa Maria del Parto in Mergellina bestatten ließ und damit sicherstellte, dass kein Dichter jemals näher an dem benachbarten Grab Vergils seine letzte Ruhe finden würde.

Werk

In seiner literarischen Findungsphase in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts dichtete Sannazaro zunächst die italienischsprachige ‚Arcadia‘, die als Meilenstein der volkssprachigen Hirtendichtung gilt. In allen erhaltenen späteren Werken gab Sannazaro dem Lateinischen den Vorzug und errang vor allem durch sein Hauptwerk, das Bibelepos De partu virginis, den Ruf eines christlichen Vergil. Wie viele Dichter (nicht nur) seiner Epoche stilisierte auch Sannazaro seine eigene Dichterbiographie nach dem vergilischen Modell und maß daher der Bukolik, in die er sich in der Volkssprache schon eingeschrieben hatte, eine große Rolle bei, erneuerte mit den Eclogae piscatoriae die Gattung aber zugleich auch durch die Transposition der bukolischen Hirten in Fischer am Golf von Neapel, die jedoch ebenso unermüdlich wie ihre Ahnen auf dem Festland von Liebe, Verlangen und Tod singen. Neben Vergil arbeitete Sannazaro sich jedoch in ähnlichem Ausmaß auch an Ovid ab: In den Piscatoria und den ‚Elegien‘ versucht Sannazaro sich an Aitiologien, etwa zum Ortsnamen Posilippo. Ein weiteres aitiologisches Werk mittleren Umfangs liegt mit den Salices vor, in dem, ähnlich wie in der hier zur Lektüre vorgeschlagenen Aitiologie, die Metamorphose in Weiden die letzte Zuflucht der von Göttern bedrängten Nymphen ist. Den umfangreichsten Einzelposten im Oeuvre unseres Dichters bilden jedoch die Epigramme, die, an die unterschiedlichsten Adressaten gerichtet und ein breites Spektrum an Themen und Anlässen behandelnd, das Leben des Humanisten literarisch begleiteten und verarbeiteten.

Hintergründe zum Text

Die Salices übertreffen im Umfang die längsten von Sannazaros ‚Elegien‘ und ‚Epigrammen‘ nicht, nehmen aber trotzdem eine Sonderstellung in seinem Werk ein, da sie als einziges aitiologisches Gedicht separat überliefert sind. Sannazaro legte sie als eine epische Versepistel an einen seiner Gönner an, in der er in der antiken Tradition der recusatio das Ausbleiben eines versprochenen größeren Werkes zu entschuldigen bittet. Widmungsadressat ist der adlige Traiano Cavaniglia, der unter der aragonesischen Herrschaft über Neapel und Kampanien mit den Grafschaften Montella und Troia belehnt wurde. Die näher an Neapel gelegene von beiden Herrschaften, Montella, ist bekannt für ihren Reichtum an Quellen, aus denen mehrere bedeutende Flüsse Süditaliens gespeist werden. Unweit von Montella entspringt auch einer der beiden Hauptzuflüsse des Sarno, dem wir in den Salices als Flussgott in der Rolle des Peneus aus Ovids Darstellung des Daphne-Mythos begegnen. Damit ist einer der möglichen Anlässe gegeben, warum Sannazaro für Cavaniglia die vorliegende Metamorphose gedichtet oder sie ihm zumindest gewidmet haben könnte: Es ist unter humanistischen Dichtern in der Korrespondenz mit ihren Gönnern üblich geworden, diesen in Nachahmung und Überbietung von Statius‘ Silvae Aitiologien gewissermaßen ‚vor die Haustür‘ zu dichten. Sollte Sannazaro seinen Adressaten in Montella besucht haben, wird er den Großteil des Weges über den – zu jener Zeit noch schiffbaren – Sarno zurückgelegt und auf der Fahrt die den Uferverlauf säumenden Weiden betrachtet haben; ob es sich tatsächlich um Trauerweiden gehandelt hat, wie die Beschreibung in dem Gedicht zumindest dem Phänotyp nach nahelegt, muss dahingestellt bleiben: Die erste botanische Beschreibung der echten Trauerweide (Salix babylonica) ist mehr als 100 Jahre nach Sannazaros Gedicht entstanden, die Züchtung aus der Silberweide (Salix alba tristis) stammt sogar erst aus dem 19. Jahrhundert. Allerdings macht Sannazaros sich auch an anderer Stelle ein dichterisches Vergnügen daraus, botanische Realien seiner Lebenswirklichkeit, die sich der antiken Systematik entzogen, aitiologisch in den antikisierenden Diskurs einzupflegen (in der ‚Elegie‘ 2, 4 ist es der weiße Maulbeerbaum). Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem Sarno mag aber auch ein antiker Münzfund gewesen sein (Antiquarismus ist eine weitere bedeutende Facette der humanistischen Auseinandersetzung mit der Antike gewesen): Aus Nocera (dem römischen Nuceria) sind zahlreiche Darstellungen eines Flussgottes Sarnus mit Widderhörnern belegt.

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